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Sozialbestattung gemäß § 74 SGB XII darf nicht auf Pauschale begrenzt werden

Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen

Justitia-Statue mit verbundenen Augen und Waage in der Hand

Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) hat in einem kürzlich veröffentlichten Urteil klargestellt, dass ein Antrag gemäß § 74 SGB XII auf Erstattung der Kosten einer Beerdigung seitens des Sozialamtes nicht durch eine mit einem Friedhofsträger ausgehandelte Pauschale begrenzt werden darf.

Die Klägerin in diesem Rechtsstreit hatte anlässlich der Bestattung ihres Ehemannes beim Sozialamt die Erstattung der Beerdigungskosten gemäß § 74 SGB XII, sogenannten Sozialbestattung, beantragt. Die vermögenslosen Eheleute bezogen Grundsicherung nach dem SGB XII, auf welche die Klägerin nach dem Todesfall weiterhin angewiesen war. Der verstorbene Ehemann war jüdischen Glaubens. Es war der gemeinsame Wunsch der Eheleute, nebeneinander in einer gemeinsamen Grabstätte bestattet zu werden. Die Klägerin veranlasste daher die Bestattung ihres Ehemannes auf einem sogenannten "Mischehenfeld" des jüdischen Friedhofs der Gemeinde, da sie selbst keine Jüdin war. Denn da auf dem jüdischen Friedhof nur Verstorbene jüdischen Glaubens bestattet werden, konnte nur so eine spätere Bestattung der Eheleute in einem gemeinsamen Grab ermöglicht werden.

Durch die Bestattung des Ehemanns entstanden Kosten in Form einer Bestattungskostenpauschale der jüdischen Gemeinde in Höhe von 1.700 Euro und weitere 3.500 Euro für die Überlassung der Grabstätte "für ewige Zeiten". Zwischen der Stadt und der jüdischen Gemeinde war jedoch vereinbart worden, dass Grundsicherungsempfänger jüdischen Glaubens zu einem Pauschalbetrag von 2.600 Euro auf dem Friedhof bestattet werden. Diese Vereinbarung umfasste allerdings nicht Bestattungen auf dem "Mischehenfeld". Das Sozialamt bewilligte der Klägerin lediglich den mit der jüdischen Gemeinde vereinbarten Pauschalbetrag in Höhe von 2.600 Euro. Die Kosten für die Wahlgrabstätte seien nicht zu übernehmen, obwohl so eine gemeinsame Bestattung ermöglicht werde. Dies entspreche, so die Behörde, der aktuellen Rechtsprechung.

Die Klägerin legte erfolglos Widerspruch ein. Auch ihre erstinstanzliche Klage vor dem Sozialgericht Düsseldorf (SG Düsseldorf, Urteil v. 21.11.2022, Az. S 42 SO 4/21) wurde abgewiesen.

Das LSG NRW entschied jedoch im Berufungsverfahren zu Gunsten der Klägerin, dass sie Anspruch auf Übernahme der weiteren Bestattungskosten hatte. Gemäß § 74 SGB XII sind die erforderlichen Kosten einer Bestattung zu übernehmen, soweit bestattungspflichtigen Hinterbliebenen nicht zugemutet werden kann, die Kosten zu tragen. Die Klägerin war als Ehefrau des Verstorbenen gem. § 8 Abs. 1 Satz 1 Bestattungsgesetz NRW bestattungspflichtig. Die von der Klägerin geschuldete Bestattungskostenpauschale der jüdischen Gemeinde in Höhe von 1.700 € und die Kosten der Grabstätte in Höhe von 3.500 Euro waren gemäß § 74 SGB XII erforderlich. Der verstorbene Ehemann der Klägerin war jüdischen Glaubens. Unter Berücksichtigung der Religionsfreiheit gemäß Art. 4 Grundgesetz (GG) war seine Bestattung auf einem jüdischen Friedhof als erforderlich anzusehen.

Die Klägerin konnte nach Ansicht des Gerichts nicht darauf verwiesen werden, die Bestattung zu der zwischen der Stadt und der jüdischen Gemeinde vereinbarten Pauschale in Höhe von lediglich 2.600 Euro durchzuführen. Denn dies hätte ein gemeinschaftliches Grab der Eheleute ausgeschlossen. Der Wunsch von Eheleuten, nebeneinander bestattet zu werden, sei aber unter Berücksichtigung des Art. 6 Abs. 1 GG zu respektieren. Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Die Kosten einer gemeinsamen Grabstätte von Eheleuten seien daher "erforderlich" gemäß § 74 SGB XII. Deshalb waren auch die Kosten der Grabstätte auf dem "Mischehenfeld" erforderlich und angemessen und durften vom Sozialamt nicht auf die mit der jüdischen Gemeinde vereinbarte Pauschale begrenzt werden.

Quelle: LSG NRW, Urteil v. 23.05.2024, Az. L 9 SO 49/23